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10 Jahre UNO Menschenrecht auf Wasser: Dienstag, 28. Juli 2020

Heute vor zehn Jahren, am 28. Juli 2010, durchschwamm ich mit meinem Freund Martin Filli den Hallwilersee, den grössten See des Kantons Aargau. Zwei Jahre zuvor hatte ich 200 Seen des Kantons Graubünden durchquert und nun standen die grössten Seen aller Schweizer Kantone auf meinem Expeditionsprogramm. Zugersee, Zürichsee und 26 Kilometer im Vierwaldstättersee von Brunnen nach Luzern sollten noch folgen; Lac Léman, Bodensee, Lago Maggiore und Walensee hatte ich bereits hinter mir. Meine zweite Expedition durch die Schweizer Seen sollte ein Appell sein, dass auch in der Schweiz das Wasser endlich ist.

Leben an den Quellen Europas
Die Schweiz ist gesegnet mit dem «Blauen Wunder». Es ist unser Glück und Privileg, dass wir an den Quellen Europas leben dürfen. Doch der Überfluss täuscht: Die Herausforderungen werden auch bei uns von Jahr zu Jahr grösser. Wetter-Extreme, auftauender Permafrost, schmelzende Gletscher, stürzende Berge, Pestizide im Wasser, trockene Sommer, sinkende Grundwasserspiegel, Mikroplastik von den Bergseen bis ins Meer und versiegelte Landschaften sind täglich in den Medien. Wie auch immer sich unsere Welt in der Schweiz in den nächsten Jahrzehnten verändern mag, eines ist sicher: wir werden nicht verdursten oder am kontaminierten Wasser zugrunde gehen. Und dennoch…

Abends, nach dem Schwimmen im Hallwilersee erreichte mich die Nachricht, dass das Menschenrecht auf Wasser nun von der UNO anerkannt wurde. Das Menschenrecht auf Wasser als Recht für alle Menschen. Ein Menschenrecht wie Bildung, Frieden oder freie Meinungsäusserung.

Kein Leben ohne Wasser
Man soll die Menschenrechte nicht gegeneinander ausspielen. Trotzdem steht in meinen Augen das Recht auf Wasser über allem. Es ist das Fundament, die Quelle von allem. Leicht sagt sich in unseren Breitengraden «ohne Wasser kein Leben». Wie existentieller tönt doch die Aussage: «Kein Leben ohne Wasser!» Erst in dieser Reihenfolge kommt das Essentielle und das Existentielle des Wassers zur Geltung. Denn, haben die Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, sind auch die Bildung, die freie Meinungsäusserung oder der Friede mit um ein Vielfaches grösseren Mühen und Konflikten verbunden.

Zehn Jahre Recht auf Wasser widerspiegeln unsere globale Zivilisation und das Existentielle, das für alle Menschen gelten soll. Es ist eine echte Errungenschaft, dieses Menschenrecht auf Wasser. Bloss: Zu feiern gibt es noch nicht viel. Zehn Jahre sind keine Zeit in der Menschheitsgeschichte: Betrachtet in einem grösseren Zeitbogen, ist das Menschenrecht auf Wasser noch taufrisch. Feiern können wir erst, wenn auch die 800 Millionen Menschen, die noch heute täglich darum kämpfen müssen, täglich ihr sauberes Wasser haben. Und wenn die 2'500 Millionen, die keinen Zugang zu sanitären Anlagen haben, ihr verbrauchtes Wasser richtig ableiten können.

Wo bleibt die Dringlichkeit?
Im Recht liegt auch eine Tragik: Es ist nur ein Recht, aber eben keine Pflicht. Alle Menschen hätten zwar das Recht auf ihr Wasser, aber die Privilegierten haben nicht die Pflicht, dass die Dürstenden zu ihrem Recht auf Wasser kommen. Es herrscht scheinbar keine Dringlichkeit. «Wo kein Kläger, auch kein Richter», sagt man. Wo kein Kläger, auch kein Wasser.

Die Dürstenden können noch so ihr Recht einklagen, kaum jemand wird sich darum kümmern. Wie verpflichtender wäre doch die Aussage, wenn wir von Menschenpflichten, statt von Menschenrechten sprechen würden. Rechte kann man (passiv) gewähren, aber Pflichten muss man (aktiv) erfüllen.

Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen
Die Menschenrechte der einen sind die Menschenpflichten der anderen. Menschenpflichten könnten ein neues Zeitalter einläuten. Ein Zeitalter, das Verantwortung übernimmt und von einer Menschlichkeit geprägt ist, die ihre Menschenpflichten erfüllt. Nicht, weil sie es muss, sondern weil sie es will und weil wir alle gar nicht anders können. Es ist unsere Pflicht, unsere globale Solidarität zu allem Leben ins Zentrum zu stellen. Denn sie ist es, die uns als Menschen ausmacht.

Über Ernst Bromeis
Ernst Bromeis-Camichel ist Wasserbotschafter und Expeditionsschwimmer aus der Schweiz. Nach der Ausbildung zum Lehrer und dem Studium zum Sportlehrer und Trainer wurde er Coach von erfolgreichen Spitzen-Triathleten. Später arbeitete er als Eventmanager im Tourismus und als Radiojournalist.
Seit 2007 engagiert sich Ernst Bromeis hauptberuflich als Wasserbotschafter und Grenzschwimmer für die Sensibilisierungsprojekte seiner Aktion «Das Blaue Wunder». 2008 durchschwamm er alle 200 Seen seines Heimatkantons Graubünden und 2010 die grössten Seen jedes Schweizer Kantons. 2012 versuchte er ein erstes Mal, den Rhein auf seiner gesamten Länge zu durchschwimmen, musste den Versuch aber wegen Krankheit abbrechen. 2014 gelang es ihm als erstem Menschen, die gesamten 1247 Kilometer von der Quelle des Rheins in den Schweizer Alpen bis zur Mündung in Hoek van Holland zu schwimmen. 2015 schwamm er von Tenero (Schweiz) zur Weltausstellung «Expo Milano» nach Mailand. 2019 begann er die Durchquerung des Baikalsees, musste die Expedition aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen.
Das grosse Medienecho, welches seine Expeditionen als Schwimmer haben, setzt er dafür ein, die Menschen für Themen rund um das Wasser zu sensibilisieren. Als Referent tritt er an Konferenzen, bei Unternehmensanlässen sowie an Universitäten und Schulen auf. Ernst Bromeis ist Initiant der UNO-Weltwasserwoche in Scuol/CH und Ideenvater des Projekts eines Weltwasserzentrums «Pol des Wasser – Pol des Lebens» in seinem Heimatkanton Graubünden.
Ernst Bromeis-Camichel ist verheiratet mit der Theologin Cornelia Camichel Bromeis und Vater von drei Kindern. Er lebt mit seiner Familie in Davos.

 

 

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